Freitag, 3. Oktober 2014

Und dann traf es mich!


Letztens habe ich abends mit Kea zu diesem Lied getanzt: "I surrender" von Hillsong. Mir liefen die Tränen übers Gesicht und ich habe Kea ganz fest an mich gedrückt. Ich fühlte tiefe Liebe und Dankbarkeit und zugleich eine tiefe Angst. Dieses Lied erinnert mich an eine Zeit in meinem Leben, die ich nie wieder durchmachen möchte!
Ich habe während der Schwangerschaft hier und da ein paar Ratgeber gelesen. Vor allem das Buch "Ich bin dann mal zwei" von Liz Fraser fand ich sehr cool. Ist aber nichts für jede Frau! Zu mir passte es 100%. Ich habe viel gelacht beim Lesen!
Ich wusste, dass einige Frauen nach der Geburt in ein tiefes Loch fallen, dem sogenannten Baby-Blues. Das haben die meisten Frauen nach einer Geburt. Und dann gibt es da noch die Wochenbettdepression, die um einiges heftiger ist. Ich wusste, dass dies jeder Frau passieren kann und entschloss mich, ganz entspannt an die Sache heranzugehen. Und selbst wenn es mich treffen sollte - ja und? Bleib ganz locker und akzeptiere es. Wird schon wieder vorbeigehen. Ich war der festen Überzeugung, dass es mit dieser Einstellung schon nicht allzu schlimm werden könnte.
Doch ich hatte KEINE AHNUNG! Nicht die geringste Vorstellung!! Was auch gut war.
Es traf mich! Und zwar völlig! Und ich war nicht ansatzweise darauf vorbereitet. Heute bin ich sogar der Meinung, dass man sich gar nicht darauf vorbereiten kann.
Es begann in der zweiten Nacht im Klinikum, in der Kea richtig Terz machte. Sie wurde wohl nicht richtig satt bei mir. Also bekam sie zusätzlich ein kleines Fläschchen, was sie kurz ruhig werden ließ. Doch kurz darauf war sie wieder am Schreien und ich bekam sie nicht beruhigt! Ich bekam Panik! Und da zu dem Zeitpunkt so viele Babys auf der Station waren, hatte die Nachtschwester alle Hände voll zu tun. Es dauerte, bis sie wieder Zeit für uns hatte. Kea bekam ein zweite kleine Mahlzeit. Danach schlief sie endlich ein. Es war schon früher Morgen.
Ich weiß nicht, ob diese Nacht, in der ich mich überfordert und allein fühlte, der Ausschlag für die Wochenbettdepression war. Und es ist auch nicht wichtig. Doch seit der Nacht fing die Depression langsam an und steigerte sich von Tag zu Tag. Am Anfang fühlte ich mich einfach nur müde und wollte nur schlafen, schlafen, schlafen. Ich musste immer wieder weinen, doch kriegte mich nach einiger Zeit wieder ein. Doch von Tag zu Tag wurden die Heulattacken immer länger und die Angst schlimmer, obwohl ich total viel Unterstützung von meinem Mann und meiner Familie hatte. Ich fühlte mich der Aufgabe, eine gute Mutter für Kea zu sein, plötzlich nicht gewachsen. Meine Gefühle sagten mir, dass ich keine gute Mutter für Kea sein kann. Und dieses Gefühl wurde von Tag zu Tag schlimmer und dringlicher. Ich hoffte, dass dieser Zustand bald vorüber sei, doch es wurde nur noch heftiger. Ich war nur noch am Heulen. Ich hatte keinen Appetit und kämpfte um jeden Bissen. Aus Angst wurde Panik. Die Verantwortung wollte mich erdrücken.
Ich liebte meine Tochter über alles - aber ich wollte sie plötzlich nur noch loswerden. Nicht, weil ich sie nicht schön fand. Nicht, weil ich sie nicht liebte. Ich liebte sie SO sehr, dass ich der festen Überzeugung war, ihr niemals gerecht werden zu können. Ich glaubte, dass sie bei jemand anderem viel besser aufgehoben wäre. Einerseits wollte ich sie die ganze Zeit um mich haben und andersrum wollte ich sie weggeben. Nicht irgendjemandem. Nein, auf keinen Fall. Ich wusste, dass sie bei meiner Familie gut aufgehoben wäre.
Ich sah meine Tochter an - voller Bewunderung, voller Liebe, voller Tränen, voller Panik und voller Schuldgefühle. Ich fühlte mich wie eine Rabenmutter. Es tat so weh!! Ich liebte dieses kleine Wesen auf meinem Arm über alles, wäre für sie ins Feuer gesprungen. Aber da war diese Panik, es nicht zu schaffen. Es war so paradox!
Jede Ablenkung, alle Gespräche und Gebete halfen nicht weiter. Aus Panik wurde pure Verzweiflung. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich nicht mehr weiter konnte. An einem Nachmittag spürte ich wieder, wie die Panik in mir hochkroch. Sie nahm mir die Luft zu atmen. Ich wollte nicht mehr! Mein Mann schlug vor, dass ich einen kurzen Spaziergang machen sollte. Ich ließ Kea nur ungerne zurück, aber ich merkte, dass ich raus musste. Ich ging die Straße entlang und es wurde immer schlimmer. Ich schrie in meinem Inneren zu Gott, dass er Kea wieder zu sich nehmen solle. Es würde mir zwar wehtun, doch ich könnte damit besser zurecht kommen, als mit der jetzigen Situation. Ich fühlte mich dabei schuldig, aber ich konnte nicht anders! Ich schrie zu Gott, dass ich ihr niemals etwas antun könnte! NIEMALS! Aber ich konnte nicht mehr! Jede Lebenskraft, jede Lebensfreude war weg! Ich hatte keine Kraft mehr zu kämpfen. Ich wollte nichts, GAR NICHTS mehr. Ich wollte nur noch sterben. Und das schien plötzlich die Lösung zu sein. Ich wusste, dass Kea eine Mutter brauchte! Aber nicht mich! Ich würde keine gute Mutter für sie sein. Sie wäre bei meinen Eltern und meiner Schwester Geli besser aufgehoben.
Einerseits machten mir meine Selbstmordgedanken Angst und andersrum war ich erleichtert, eine Lösung gefunden zu haben. Ich lief tränenüberströmt nach Hause mit dem Ziel, mich umzubringen, sollte sich nichts ändern. Zu Hause angekommen sah ich Kea an und brach zusammen. Ich rief meine Mama an und sagte ihr, dass ich Kea niemals etwas antun würde, aber ... - Meine Mutter beendete den Satz: ... du weißt nicht, ob du dir etwas antust! Sie merkte gleich, was in mir vorging. Meine Eltern kamen sofort. Mama legte sich zu mir aufs Bett und weinte mit mir. Ich weinte wie nie zuvor in meinem Leben. Mein Körper war ein einziges Schluchzen! Ich sah keine Zukunft für mich!! Ich war am Aufgeben! Meine Eltern begannen für mich zu beten und mit der Zeit wurde ich ruhiger. Meine Eltern machten mir noch einmal deutlich, dass sie immer für mich da seien. Wir beschlossen, dass in der nächsten Zeit immer jemand bei mir wäre, wenn mein Mann zur Arbeit müsste. Ich wäre niemals alleine. Zusammen würden wir das schaffen! Ich müsste die Verantwortung nicht alleine tragen. Wir würden Kea schon zusammen groß kriegen. Ich müsste sie ja nicht unbedingt stillen. - Dieses Wissen gab mir Sicherheit!
Wir handhabten die nächsten Tage wie besprochen. Trotzdem wurde es nicht besser. Die Panik und Verzweiflung blieben. An einem Tag wurde es wieder so schlimm, obwohl mein Mann bei mir und Kea war. Doch ich wollte nicht, dass meine Eltern wieder kamen. Ich musste es doch auch mal alleine in den Griff bekommen. Ich rief sie wieder an. Sie beteten mit mir gemeinsam am Telefon und Papa meinte, dass ich einfach laut Lobpreis machen sollte. Und wenn das nichts bringe, kämen sie sofort zu mir.
Ich ging allein ins Arbeitszimmer und suchte bei Youtube nach Liedern. Dabei stolperte ich über genau diesen Song. Ich kannte es vorher nicht. Doch es sprach mich sofort an. Ich sang es immer und immer wieder! Es wurde mein Gebet, mein Schrei zu Gott! Es gab mir Kraft! Geli schrieb mich an und ich meinte zu ihr, dass ich gerade wieder am Kämpfen sei. Sie solle ebenfalls für mich beten. Nach einiger Zeit antwortete sie, dass sie spüre, dass in der geistlichen Welt etwas durchgebrochen sei. Dieses Wissen machte mich glücklich! Auch ich spürte, dass sich etwas änderte. Sie sollte Recht behalten. An diesem Abend mussten meine Eltern nicht kommen. Seit diesem Abend wurde es allmählich besser. Klar gab es auch immer wieder Rückschläge, aber langsam kam wieder Licht, Hoffnung in mein Leben. Es dauerte noch einige Zeit, bis die Depression ganz weg war. Doch sie ist weg.
Ohne Gott und die Unterstützung meiner Eltern wäre ich heute nicht mehr am Leben. Das weiß ich. Diese sechs Wochen waren der schlimmste Kampf in meinem Leben. Aber Gott hat mich nicht allein gelassen. Er gab mir die besten Eltern auf der ganzen Welt!! Ich bin ihm so unendlich dankbar dafür!

Ein Foto aus dieser Zeit
Es wird nicht gerne über dieses Thema geredet. Und ich weiß auch warum: Es ist eine Erfahrung, über die man nicht gerne spricht. Man kann es im Nachhinein selbst nicht nachvollziehen. Selbst während der Depression ist man hin und her gerissen. Die Gefühle laufen Amok. Es ist völlig paradox. Doch man kann nichts gegen diese Gefühle machen. Man bekommt sie nicht alleine in den Griff. Deswegen schrieb ich auch zu Anfang, dass ich der Meinung bin, sich nicht auf so eine Situation vorbereiten zu können. Man kann sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man es nicht selbst erfahren hat. Diese Ohnmacht, diese pure Verzweiflung. In dieser Situation braucht man Gott! Und liebe Menschen, die einen durch diese Zeit tragen!

Heute genieße ich den Alltag mit meiner kleinen Maus. Und wenn mir doch mal wieder die Decke auf dem Kopf fällt, fahre ich ... genau: zu meinen Eltern! :)




Elly
xxx


5 Kommentare:

  1. Meine liebe Elly,
    ich verfolge gespannt deine Blogeinträge und
    bei diesem Eintrag lag ich im Bett und mir kamen einfach nur die Tränen....
    Vor allem weil Gott zu mir durch dieses Lied gesprochen hat,
    in einer Phase, wo ich mehr als am Boden zerstört war.

    Und ich stelle grad fest, dass es genau zu dem Zeitpunkt war,
    wo du dich in diesem Tief befunden hast.

    Ich liebe dieses Lied, es bereitet mir immer wieder Gänsehaut
    beim Anhören.

    :-*

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  2. Danke dir, Thieß, für deine lieben Worte!!!
    Dieses Lied verbindet uns! :*

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  3. Liebe Elly,

    vielen, vielen Dank für deinen (schon etwas älteren Post) und das Lied. Dein Beitrag macht mir gerade sehr viel Mut. Ich kann deine Gefühle von damals nachvollziehen. Ich stecke gerade in einer Wochenbettdepression und wie bei dir hat mich der Anfang im Krankenhaus mit dem Zufüttern schon verrückt gemacht. Ich empfinde dagegen überhaupt keine Liebe zu meiner Tochter (jetzt 4 Monate). Aber dein Beitrag hat mir einmal mehr gezeigt, dass Gott uns nicht im Stich lässt und wenn er Liebe ist, kann er es auch geben, dass wir lieben können, genau so, wie unsere Kinder es brauchen.

    Danke nochmal! Gott wusste, dass ich das jetzt brauche (und ganz nebenbei habe ich einen tollen Blog entdeckt :) )
    LG Lollo

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  4. Liebe Lollo,
    es freut mich zu hören, dass mein Blogeintrag dir Mut gemacht hat. Mir wird selbst jetzt immer noch ganz komisch, wenn ich an die Zeit zurückdenke. Es ist nach wie vor die dunkelste Zeit meines Lebens gewesen. Und auch wenn es jetzt wirklich abgedroschen klingt und du dir es momentan wahrscheinlich überhaupt nicht vorstellen kannst: Es geht wirklich vorbei. Es dauert und es braucht sehr viel Geduld, Kämpfe, Tränen und schlaflose Nächte. Aber es wird nach und nach besser. Gott ist bei dir und er wird dir da raushelfen. Jetzt genieße ich es so sehr, eine kleine Tochter zu haben mit der ich meinen Alltag teilen kann. Aber ich möchte nach wie vor kein zweites Kind - schon aus Angst vor so einer erneuten Erfahrung. Da bin ich ganz ehrlich!!
    Ich bete für dich und hoffe, dass es dir bald besser geht.
    Du darfst mir gerne deine EmailAdresse geben, dann können wir ausführlicher schreiben. Nur wenn du magst!

    Ganz liebe ermutigende Umarmung,
    Elly

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    1. Hallo Elly,
      erst jetzt lese ich deine Antwort. Vielen Dank fürs Mutmachen. Ich fände es wirklich toll noch mit jemandem darüber reden zu können. Meine Emailadresse: alias.praying(at)gmail.com (eigentlich wollte ich die hier nicht so öffentlich posten, aber habe keinen anderen weg gefunden).

      Liebe Grüße,
      Lollo

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